Während alle von KI reden, passiert bei den etablierten PIM-Playern… nichts. Außer Marketinggeschwafel. Zeit für Klartext.

Letzte Woche erst wieder erlebt: Ein Kunde zeigt mir stolz die „brandneue KI-Integration“ seines PIM-Systems. Spoiler: Es war dieselbe Regel-Engine wie 2019, nur mit einem ChatGPT-ähnlichen Interface obendrauf. 200.000 Euro Mehrkosten für einen Chatbot, der Produktbeschreibungen generiert, die dann manuell korrigiert werden müssen.

Willkommen im PIM-Friedhof 2025.

Der große Stillstand: Was seit 2019 WIRKLICH passiert ist

Ich arbeite seit über 20 Jahren in diesem Business. Noch nie habe ich so wenig echte Innovation gesehen wie in den letzten fünf Jahren. Während die Marketingabteilungen Hochglanzbroschüren mit „AI-powered“, „Machine Learning“ und „Intelligent Automation“ vollpflastern, dümpeln die Systeme auf dem Entwicklungsstand von 2019 vor sich hin.

Die brutale Realität:

  • Datenqualität: Immer noch manuelle Excel-Imports und händische Bereinigung
  • Workflows: Starr wie vor sechs Jahren – kein BPMN, keine flexible Prozessgestaltung
  • Integration: APIs, die sich anhören wie REST, aber funktionieren wie SOAP aus 2010
  • User Experience: Oberflächen, die aussehen, als hätte sie ein Praktikant 2018 programmiert

Die Ausreden-Hitparade der etablierten Anbieter

„Wir fokussieren uns auf Stabilität“ Übersetzung: Wir haben Angst, dass unser Code-Monster zusammenbricht, wenn wir was anfassen.

„Unsere Kunden wollen keine radikalen Änderungen“ Übersetzung: Wir haben keine Ahnung, was unsere Kunden wirklich brauchen.

„KI ist noch nicht reif für den Enterprise-Einsatz“ Übersetzung: Wir haben keine KI-Kompetenz und hoffen, dass das niemand merkt.

„Wir setzen auf bewährte Technologien“ Übersetzung: Unsere Entwickler können nur Java 8 und haben Angst vor allem Neuen.

Warum Innovation in PIM-Systemen stirbt

1. Die Comfort-Zone-Falle

Die meisten etablierten Anbieter leben gut von ihrer Bestandskundschaft. Warum innovieren, wenn die Wartungsverträge sprudeln? Stibo Systems mit ihrer STEP-Plattform, die seit Jahren dasselbe tut. Akeneo, die ihre „moderne“ Architektur von 2015 als Innovation verkaufen.

2. Der Legacy-Code-Alptraum

Viele PIM-Systeme schleppen 15+ Jahre alten Code mit sich rum. Jede echte Innovation würde bedeuten: Komplettes Rewrite. Das kostet Millionen und dauert Jahre. Also klebt man lieber neue Features mit Klebeband obendrauf.

3. Die MBA-Krankheit

Die technischen Gründer sind längst weg. Heute entscheiden Controller und Marketing-VPs über Produktentwicklung. Hauptsache, die nächste Präsentation beim Kunden sieht gut aus.

4. Der Integrator-Teufelskreis

Systemintegratoren verdienen ihr Geld mit komplexen, langwierigen Projekten. Einfache, moderne Systeme sind schlecht fürs Geschäft. Also wird jede Innovation totgeredet oder verkompliziert.

Die KI-Illusion: Marketing vs. Realität

Was die Anbieter versprechen:

  • „Intelligente Datenklassifizierung“
  • „Automated Content Generation“
  • „Smart Data Enrichment“
  • „AI-powered Quality Checks“

Was du tatsächlich kriegst:

  • Vorgefertigte Regeln mit fancy Namen
  • Templates für Produktbeschreibungen
  • Excel-Listen mit Anreicherungsdaten
  • If-then-else-Logik aus dem letzten Jahrtausend

Ich hab letzte Woche bei einem namhaften Anbieter nachgehakt: „Zeig mir mal eure KI-Integration.“ Nach drei Meetings und zwei „technical deep dives“ stellte sich raus: Es war ein Python-Script, das OpenAI’s API aufruft. Kostet extra, läuft nicht on-premise, und die Ergebnisse müssen trotzdem manuell geprüft werden.

Das ist keine KI-Integration. Das ist Outsourcing mit Extra-Kosten.

Die Zombie-Features, die niemand braucht

Statt echte Probleme zu lösen, basteln die Anbieter an Features, die gut aussehen, aber keinen Mehrwert bringen:

Digital Asset Management Light

Jedes PIM will heute auch DAM sein. Raus kommt ein kastriertes System, das weder richtig PIM noch richtig DAM kann. Medien werden weiterhin in 17 verschiedenen Ordnern auf dem Fileserver gespeichert.

E-Commerce-Integration Deluxe

„Nahtlose Integration zu Shopify, WooCommerce, Magento…“ – was sich anhört wie der Himmel, entpuppt sich als 200-seitiges Mapping-Excel und monatliche Sync-Probleme.

Die „Standard-Integrationen“ sind noch schlimmer: Out-of-the-box gelieferte Konnektoren, die exakt einen Use Case abdecken – den Standard-Fall, den es in der Realität nicht gibt. Jeder Händler hat andere Kategoriestrukturen, andere Attribute, andere Pricing-Logiken. Die Standard-Integration geht davon aus, dass du deine komplette Shop-Architektur an das PIM anpasst. Realitätscheck: Das macht niemand.

Analytics und Reporting

Dashboards voller bunter Charts, die dir sagen, dass du 47.000 Produkte hast und 23% davon unvollständige Beschreibungen. Bahnbrechend.

Während die Großen schlafen: Wer wirklich innoviert

Es gibt Lichtblicke. Meist von Anbietern, die du noch nicht kennst:

ATAMYA: BPMN-Workflows, die funktionieren

Während andere noch über „flexible Prozesse“ reden, baut ATAMYA echte BPMN-Workflows. Du kannst Prozesse designen wie in Camunda oder Flowable – aber für Produktdaten. Das ist Innovation.

Contentserv: Bevor sie verkauft wurden

Die hatten tatsächlich interessante KI-Features entwickelt. Natürlich wurde die Firma dann für 220 Millionen an Centric Software verkauft. Typisch.

Die neuen Player aus Übersee

Reltio, die keiner kennt, aber bei Forrester „Customer Favorite“ sind. Syndigo mit ihren „GoPilots“ (embedded Copilots). Während deutsche Anbieter noch über GDPR-Compliance philosophieren, bauen die echte KI-Features.

Was echte PIM-Innovation 2025 bedeuten würde

Lass mich mal träumen, wie ein modernes PIM-System aussehen könnte:

1. Echte KI-Integration

  • Automatische Produktkategorisierung basierend auf Bildern und Beschreibungen
  • Intelligente Datenbereinigung, die Duplikate und Inkonsistenzen automatisch erkennt
  • Predictive Content: Das System schlägt vor, welche Produktinformationen für welche Zielgruppe relevant sind

2. BPMN-basierte Workflows

  • Visueller Workflow-Designer wie in modernen BPM-Tools
  • Event-driven Prozesse: Automatische Reaktion auf Datenänderungen
  • Integration in externe Systeme ohne 500-seitiges Handbuch

3. API-First Architecture

  • Headless PIM: Frontend und Backend komplett entkoppelt
  • GraphQL APIs für flexible Datenabfragen
  • Micro-Services Architektur: Jede Komponente einzeln skalierbar

4. Real-time Collaboration

  • Gleichzeitiges Arbeiten an Produktdaten wie in Google Docs
  • Instant Notifications bei Änderungen
  • Kommentare und Diskussionen direkt an den Daten

5. No-Code/Low-Code Erweiterungen

  • Business User können selbst Datenmodelle erweitern
  • Drag-and-Drop Regel-Editor für Datenvalidierung
  • Custom Dashboards ohne IT-Abteilung

Die Konsequenzen des Stillstands

Dieser Innovations-Stillstand kostet deutsche Unternehmen Millionen:

Verlorene Effizienz

Teams verbringen 60% ihrer Zeit mit manueller Datenbereinigung statt mit strategischer Arbeit. Bei einem 5-köpfigen Produktdaten-Team entspricht das 180.000 Euro verschwendetem Gehalt pro Jahr.

Missed Opportunities

Während Konkurrenten mit modernen Systemen ihre Time-to-Market halbieren, kämpfen deutsche Mittelständler noch mit Excel-Imports und manuellen Freigabeprozessen.

Vendor Lock-in Deluxe

Die Anbieter wissen: Ihre Kunden können nicht wechseln. Zu komplex, zu teuer, zu riskant. Also bleiben die Preise hoch und die Innovation niedrig.

Mein Weckruf an die Branche

An die PIM-Anbieter: Hört auf, eure Marketing-Teams entscheiden zu lassen, was Innovation ist. Stellt wieder Entwickler ein, die was können. Investiert in echte R&D statt in Salesforce-Integrationen.

An die Systemintegratoren: Hört auf, komplexe Lösungen zu verkaufen, nur weil sie mehr Umsatz bringen. Eure Kunden brauchen einfache, effiziente Systeme.

An die Unternehmen: Lasst euch nicht von bunten Demos blenden. Verlangt Proof-of-Concepts. Testet echte Use Cases. Und habt den Mut, auch mal kleinere, innovativere Anbieter zu betrachten.

Ausblick: Die nächste Konsolidierungswelle kommt

Der PIM-Markt steht vor der größten Bereinigung seit 10 Jahren:

  • InRiver zieht sich aus Deutschland zurück
  • Contentserv wurde verkauft
  • Kleine Anbieter kämpfen ums Überleben

Wer jetzt nicht innoviert, ist in 24 Monaten Geschichte. Die Unternehmen, die sich für moderne, flexible Systeme entscheiden, werden ihre Konkurrenz abhängen.

Die Frage ist nicht, OB sich der Markt verändert. Die Frage ist, auf welcher Seite du stehst, wenn es passiert.